Als ich mit meiner Familie vor mehr als 20 Jahren ins Eichsfeld zog, wusste ich nicht, dass ich Jahre später mit meinem Eichsfeldkrimi zu besonderen Ehren kommen würde. Es war die Landschaft des Eichsfeldes, die uns zum Bleiben verführte, hinzu kam die Herzlichkeit der Menschen. Wir fanden schnell den passenden Ort, ein Haus mit einem großen Garten und altem Obstbaumbestand. Alles war perfekt – wie für uns gemacht.
Dass es eine wahre Geschichte sein würde, von einem Bauern erzählt, die mich Jahre später über die Grenzen des Eichsfeldes hinaus bekannt machen würde, daran war zu dem Zeitpunkt nicht zu denken. Es war 1961. 53 Menschen sind in einer Nacht- und Nebelaktion bei Böseckendorf rüber in den Westen. Über die Grenze in Richtung Duderstadt, todesverachtend, mit dem ganzen Mut, den man für dieses Vorhaben braucht, und der Verzweiflung und Angst, die Menschen in dieser Situation verspüren.
Plötzlich fand ich mich, eine Biologin, die einen Auftrag über Obstwiesen bearbeitete, in einer deutsch-deutschen Geschichte wieder. Dachte an die Schwere der Entscheidung, eine alte Heimat gegen eine neue einzutauschen (was wir durch unseren Umzug ins Eichsfeld auch getan hatten, aber selbstbestimmt und freiwillig), und speicherte mein Erlebtes im Kopf: Kartierung der Obstwiesen zwischen Neuendorf und Böseckendorf, windig, Gespräch mit Bauer, der Stall ausmistet, die Geschichte einer dramatischen Flucht, bin berührt.
Über fünfzehn Jahre später, im Jahr 2011, sehe ich in der Tageszeitung eine zweiseitige Anzeige, dass ein Thüringer Krimipreis ausgelobt wird. Das Schreiben ist einem ja nicht fremd: In der Schule schreibt man Aufsätze, im Studium Seminararbeiten, während meiner Arbeit als Biologin Gutachten und neuerdings schrieb ich auch Kinderbücher. Warum nicht auch einen Krimi verfassen? Da die Bedingung lautete, es müsse sich um eine Geschichte mit regionalem Bezug handeln, tauchte vor meinem inneren Auge spontan das Bild des mistenden Bauern in Böseckendorf auf.
Die Flucht. Na klar! Und mein Kommissar müsste aus Erfurt stammen. Ein Städter trifft auf einen Eichsfelder. Wenn das nicht eine interessante Kombination ergeben könnte. Fragte sich nur, ob sich aus der Geschichte in Böseckendorf eine Krimihandlung entwickeln lässt, die alle Bedingungen wie Regionalität und Aktualität, Spannung und Drama erfüllt. Und natürlich müsste der Kommissar attraktiv sein und über ein ausbaufähiges Liebesleben verfügen.
Nun, die Böseckendorfer Flucht ist gut ausgegangen. Die Flüchtenden kamen unversehrt auf der anderen Seite der Grenze an. Und für mich kann ich das gleiche behaupten: Auch alles gut! 2012 gewann ich mit meinem Beitrag „Tod im Eichsfeld“ den 1. Thüringer Krimipreis, erhielt eine Urkunde, zusammen mit Blumen und – thematisch passend – einer Gummihand, in der eine Mini-Mistgabel steckte.
Text: Astrid Seehaus / Fotos: Iris Blank
Astrid Seehaus ∙ Undine Verlag
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Ein Kommentar zu Neue Heimat
Ein wirklich lesenswertes Buch. Ich finde es immer wieder interessant, wenn sich AutorInnen auf neuen Gebieten und in fremden Genres versuchen. Die Kinderbücher von Frau Seehaus sind schon klasse. Mit „Tod im Eichsfeld“ und der Fortsetzung „Loverboy“ hat sie bewiesen, wie vielfältig sie ist. Bis nun sehr gespannt, ob es noch einen dritten Fall für Kommissar Rothe geben wird.